Bremen macht Senkung des Wahlalters zum Exportschlager

„Entscheidend ist die Teilhabe an der Macht oder die Unterwerfung unter die Macht, die uns zu Bürgern oder zu Nichtbürgern macht.“ So klar kennzeichnet der Bundespräsident Joachim Gauck in seinem Plädoyer für „Freiheit“ die Alternative für jeden: entweder sich als mündiger Bürger der ei- genen Verantwortung bewusst zu werden, sich politisch zu engagieren und an einer Wahl teilzuneh-men oder sich abzuwenden und andere entscheiden zu lassen. Auf diese Art von Untertanengeist weist die stetig sinkende Wahlbeteiligung hin.

Diesem Trend wollten die verantwortlichen Politiker in Bremen bei der letzten Wahl am 22. Mai 2011 entgegenwirken: Sie wagten mehr Demokratie mit einem neuen 5-Stimmen- Wahlrecht und – erstmalig in Deutschland bei einer Landtagswahl – mit einem Wahlrecht ab 16. Neue Wege waren notwendig, alle Wähler über das neue Wahlrecht so zu informieren, dass sie über Bedeutung und Funktion Be-scheid wüssten. Vor allem aber musste das neue Angebot den 16-und 17-Jährigen so nahegebracht werden, dass sie es annehmen und nützen würden.

Das gelang in einer konzertierten Aktion: Der Bürgermeister Jens Böhrnsen besuchte viele Schulen, die Innenbehörde bildete einen ressortübergreifenden Arbeitskreis in Zusammenarbeit mit der Landes-zentrale für politische Bildung. Die Kampagne „Gib mir 5“ informierte u.a. mit „Schnupperwahl-lokalen“ und Broschüren, und mit dem Wahl-o-Mat wurde ein bewährtes Internet-Tool angeboten.

Entscheidend für den Erfolg war aber das handlungsorientierte Projekt „Juniorwahl“, das der Kumulus-Verein e.V. den Schulen bundesweit seit 1999 bei Europa- und Bundestagswahlen sowie bei Landtagswahlen, sofern finanziell unterstützt, zur Verfügung stellt. Von den 16 000 Wahlberechtigten 16- und 17- Jährigen nahmen 13 000 an diesem Projekt teil, Theorie und Praxis von Partizipation an dem grundlegenden demokratischen Entscheidungsprozess, der Wahl von Volksvertretern, zu ver-mitteln: Im Unterricht werden die wesentlichen Merkmale der Demokratie gemäß Grundgesetz er-arbeitet und dann in einer Wahl praktisch erprobt, dass alle Staatsgewalt vom Volk ausgeht, das Volk der Souverän ist. Die Partei Bündnis 90/Die Grünen erhielt die meisten Stimmen, gefolgt von der SPD, CDU, Die Linke und den Piraten. Extremistischen Parteien wurde eine Absage erteilt. (Zum Vergleich die Ergebnisse der Bürgerschaftswahl: Stärkste Partei war die SPD, gefolgt von der CDU, Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke.)

Das hohe Engagement von den am Projekt „Juniorwahlen“ beteiligten Lehrerinnen und Lehrern führte zu  Synergieeffekten: Nicht nur, dass sich Schülerinnen und Schüler außerschulisch über Parteipro-gramme und Wahlversprechen von Kandidaten orientierten, sondern in Bremen halfen auch 500 Schülerinnen und Schüler bei der Stimmenauszählung, 500 ebenfalls in Bremerhaven, die sogar die gesamte Auszählung durchführten. Bei den Erstwählern stieg im Vergleich zu 2007 die Wahlbetei-ligung um 0,7 Prozent, sank aber insgesamt um 2,0 Prozent, erreichte die  Quote der Erstwähler aller-dings wieder in der Altersgruppe ab 35 Jahren.

In Bremen hat sich gezeigt, dass in die politische Bildung Jugendlicher zu investieren sich lohnt. Das könnte Vorbild für alle anderen Bundesländer sein, denn das sind Investitionen in die Zukunft der Demokratie für eine Bürgergesellschaft, die sich „tolerant, wertbewusst und vor allen Dingen in Liebe zur Freiheit entwickelt und nicht vergisst, dass die Freiheit der Erwachsenen Verantwortung heißt“, wie der Bundespräsident im Schlusssatz seines Plädoyers für „Freiheit“ betont. Bremen hat dazu einen Beitrag geleistet, der Beispielcharakter für alle anderen Bundesländer haben könnte.

Deshalb ist die Frage an mündige Bürger und Politiker zu stellen: „Worauf wartet ihr?“, wenn es doch gilt, nicht nur Erstwähler politisch zu aktivieren, sondern auch die Gruppe der mit Familiengründung und beruflicher Karriere in Anspruch genommenen im Alter von 18-35 Jahren, die doch eigentlich aufzurufen und gefordert ist, ihre eigene Zukunft mitzugestalten: „Wann, wenn nicht jetzt?“